Alisha

Liebe Marlen,
Nun komme ich endlich zu dem versprochenen Geburtsbericht 😉
Kurz meine Ausgangslage in der Schwangerschaft: wir hatten direkt zu Beginn der
Schwangerschaft einen Platz im Geburtshaus Ottensen ergattert und uns riesig darüber gefreut. Schon vor der Schwangerschaft hegte ich nämlich den Wunsch, so natürlich wie möglich in vertrauter Atmosphäre zu entbinden. Dieser Plan wurde dann leider durch grenzwertig erhöhte Nüchternblutzucker-Werte und die ärztliche Empfehlung Insulin zu spritzen, zu Nichte gemacht.

Darüber hinaus drohte mit dieser Diagnose eine Einleitung an 40+0, was für mich ein großes
Schreckensszenario darstellte. Wir hatten entsprechend gehofft, dass sich unser Kleines von alleine auf den Weg machen und das Licht der Welt ohne Einleitung im AK Altona erblicken würde. Der ET rückte immer näher. Trotz aller Lockversuche mitsamt Eipollösung durch meine Vorsorgehebamme, Bauchmassagen mit Utöl und Gewürztrunk nach Stadelmann, ließ sich unser Baby, Arbeitstitel „Tüddelbüddel“, nicht überzeugen, freiwillig zu kommen und die warme Höhle zu verlassen. Am Abend vorher waren entsprechend ein paar Tränen bei mir geflossen. Aus Angst vor der Einleitung und allem, was ich darüber wusste und gehört hatte. Und aus Trauer über die nun erneut über den Haufen geworfenen Wünsche und Pläne – nämlich eine natürliche Geburt mit einem entspannten Anteil zuhause erleben zu dürfen.

So fuhren wir an einem herrlichen Herbsttag mit strahlend blauem Himmel ohne Wehen ins AK Altona zu unserem Einleitungstermin um 12 Uhr. Ein merkwürdiges Gefühl zu wissen, dass die Geburt nun bald zwangsweise in Gang gesetzt wird und es losgeht. Ich musste unter den Corona Regeln sämtliche Untersuchungen, Einleitungsdosen und regelmäßige CTG-Kontrollen alle vier Stunden ohne meinen Mann Aaron machen. Er durfte erst mit in den Kreißsaal als es laut Hebamme „so richtig losging“. Das war erst am Donnerstag gegen 16 Uhr der Fall. Glücklicherweise hatten wir noch Mittwochabend ein Familienzimmer bekommen. So war er nur ein Stockwerk weit weg und konnte mir beim Veratmen der Wellen, die in der Nacht von Mittwoch auf Donnerstag einsetzen, gut helfen.

Bis unser Tüddelbüddel auf der Welt war, dauerte es noch bis Freitagabend knapp 23 Uhr, ein
langer Ritt an Geburt mit einigen herausfordernden Momenten. Nachdem die Wellen nun
Donnerstagnachmittag kräftig eingesetzt hatten und richtig muttermundswirksam wurden, hatten wir ja schon einige Stunden hinter uns. Entsprechend habe ich dann auch beschlossen, nicht die Heldin zu spielen und schon Donnerstagabend Schmerzmittel akzeptiert. Die Geburt war schließlich auch mit Medikamenten in Gang gesetzt worden. Es war also schon da nicht mehr die „natürliche“ Geburt, die ich mir mal gewünscht hatte. Es galt also, meine Wünsche und Prinzipien über Bord zu werfen und durch die herausfordernden Wellen so gut wie möglich durchzukommen.

Deine Meditation, liebe Marlen, habe ich mit Beginn der Wellen und zwei Mal unter der Geburt
gehört, was sehr gut getan hat. Entgegen meiner Erwartungen gehörte ich dann aber doch zu der Fraktion Tönen und nicht leise Atmen und Zählen. Noch etwas, das ich mir anders vorgestellt hatte, das aber intuitiv das Richtige war. Denn das habe ich ja auch von dir aus dem Hypnobirthing und dem Schwangerenyoga mitgenommen: flexibel bleiben und der Intuition folgen. Nach mehreren Aufenthalten in der Wanne, einer verordneten Wehenpause zum Krafttanken und etwas Dösen, viel Katze-Kuh, Beckenkreisen, Spaziergängen, Akupunktur und Tanzen im Kreißsaal, ging es Freitagmittag bei 8 cm Muttermund einfach nicht weiter. Auch Brustwarzenstimulation und Eröffnung der Fruchtblase halfen nicht weiter.

Derweil hatte die wunderbare Hebamme Claudia, mit der ich die Einleitung begonnen hatte, wieder Dienst – inzwischen mein siebter Hebammenwechsel. Sie fand bei einer weiteren Untersuchung den Grund für den Stillstand – das Köpfchen lag perfekt quer zum Ausgang. Keine Chance, dass es in dieser Lage den Weg durch den Geburtskanal, schaffen würde.
Claudia lag ein möglichst natürlicher Geburtsverlauf ebenso wie mir am Herzen und so verordnete sie mir erneutes Tanzen, Bewegung und noch mal Brustwarzenstimulation. Eine ganz schöne körperliche Herausforderung nach all der Zeit unter Wehen. Trotz allem, drehte sich das Kleine partout nicht in die richtige Position. Ein Moment riesiger Enttäuschung bei der Untersuchung gemischt mit aufkommender Verzweiflung und Mutlosigkeit machte sich in mir breit.

Claudia fing diese Stimmung auf und redete im ernsten Ton auf mich ein, jetzt nicht die Flinte ins Korn zu werfen. Ich sei so eine Kämpferin und hätte schon so einen langen Weg hinter mich gebracht. Das letzte Stück würde ich nun auch noch schaffen, auf dem einen oder dem anderen Weg. Und so war die letzte Möglichkeit vor Kaiserschnitt, eine PDA zu probieren. Noch etwas, das ich mir nicht hätte träumen lassen, mal dankend anzunehmen. Mit der Länge der Geburt ließ die Kraft meiner Gebärmutter nämlich spürbar nach und die Hebammen fürchteten starke Blutungen nach der Geburt oder gar einen Gebärmutterriss.

Die PDA sollte mir also etwas Pause zum Durchatmen verschaffen und vor allem meine
Muskulatur lockern, um dem Baby noch mal ein Müh mehr Platz zu verschaffen. Und mit Hilfe
eines Wehentropfs der Gebärmutter noch einmal bei ihrer Arbeit helfen. Den Aufklärungs- und
Anamnesebogen hatte ich glücklicherweise trotz aller Abneigung beim Anmeldegespräch
mitgenommen und bereits zuhause ausgefüllt. Das erwies sich jetzt als große Entlastung.
So konnte es nach meiner Zustimmung zur PDA sehr fix losgehen. Gefühlt waren innerhalb von Minuten eine Ärztin mitsamt Schwester im Kreißsaal, klärten mich über die Prozedur auf und verkabelten mich an alle möglichen Geräte. Ich musste mich hinsetzen, mein Becken perfekt gerade ausrichten, einen möglichst runden Rücken machen und mich ja nicht bewegen, während die Ärztin die PDA legte. Alles gar nicht so einfach mit dickem Bauch unter der Geburt.

Und so hielten mich Claudia an der einen und die Schwester an der anderen Schulter fest und drückten meinen Bauch so weit wie möglich nach innen. Dieser Moment war der weitaus beängstigendste unter der ganzen Geburt. Und damit der Moment, wo mir der vorher in der Meditation eingeübte Kraftort und die Atmung am meisten geholfen, wenn nicht sogar „gerettet“ hat. Ich hab mich einfach weggeträumt aus der Situation und mir vorgestellt, gar nicht im Raum zu sein. Laut Aaron hat man mir meine Angst äußerlich überhaupt nicht angemerkt. Im Nachhinein kommt mir das alles vor wie eine Szene aus einem Film.
Nun lag ich mit allerlei Kabeln und Kanülen, mit einer PDA und einem Wehentropf auf der Liege und versuchte wieder Mut zu fassen, einem Kaiserschnitt noch entgehen zu können.

Zumindest war es schon mal eine dankbare Pausen von den Schmerzen. Die Wellen spürte ich nur noch als starkes Druckgefühl nach unten. Bei einer erneuten Untersuchung entleerte Claudia mit einem Katheter meine Blase. Etwas, das vor der PDA durch den Druck nur noch tröpfchenweise ging. So hatte sie etwas Platz schaffen können. Daraufhin versuchte sie mit beherzten Griffen das Köpfchen manuell in die richtige Position zu drehen. Ein Manöver, das ich ohne eine PDA laut Claudia niemals hätte aushalten können vor Schmerzen. Sie schaffte es in jedem Fall, das Kleine etwas besser positionieren.

Ob es reichen würde für eine vaginale Entbindung, konnte sie leider nicht mehr persönlich
miterleben, da auch ihre zweite Schicht mit mir um 20 Uhr endete. Sie übergab uns aber
glücklicherweise an ein weiteres Gesicht, das ich aus vorherigen Episoden schon kannte. Meine letzte Hebamme sollte Frauke sein – die erste Hebamme, mit der es am Donnerstag in den Kreißsaal gegangen war, wo dann auch Aaron dabei sein durfte.
Sie machte sich ein Bild der Lage und sprach mir mit frischer Energie Mut zu, dass sie mich nicht noch einmal unentbunden übergeben würde. Aaron und ich waren auch wieder etwas besserer Stimmung und plauderten seit Längerem mal wieder etwas entspannt im Kreißsaal.

Ich durfte in der Zeit mit etwas Schieben nach unten die Wellen unterstützen, immer wenn ich ein stärker werdendes Druckgefühl merkte. Frauke schaute hin und wieder vorbei, schien aber erst einmal keine weiteren Schritte unternehmen zu wollen.
Irgendwann sagte sie dann: „Ich bleibe auch gleich bei euch.“. Was das hieß, begriff ich nicht
sofort. Als sie schon fast wieder aus der Tür war, fragte ich ungläubig: „Heißt das etwa, unser
Kind kommt gleich?!“. „Ja genau, das dauert nicht mehr lange:“, entgegnete Frauke. Ich konnte es kaum fassen. Hatten wir es etwa tatsächlich geschafft, dem Kaiserschnitt zu entgehen?! In der Tat kam Frauke kurz darauf wieder und dann ging alles ganz schnell. Sie wies Aaron an, mich von den ganzen Kabeln zu befreien: „Die würden nur stören.“. Sie klappte die Fußstützen und Haltegriffe hoch und da ich den PDA-Knopf schon länger nicht gedrückt hatte, spürte ich den größer werdenden Druck nun auch sehr deutlich.

Ich konnte das Köpfchen nach Fraukes Hinweis sogar schon selbst ertasten. Wahnsinn, unser Kind kam nun endlich zu uns! Zum Schluß kam noch eine junge Ärztin mit in den Kreißsaal, die nicht einmal mehr die Zeit fand, sich mir vorzustellen. Frauke leitete mich in klaren Worten und bestimmtem Tonfall unter den Presswehen an, was ich zu tun hatte. Diese Phase der Geburt konnte man wirklich kaum vorher üben. Und so brauchte ich ein paar Wehen, bis ich verstand, wo ich meine Kraft hinleiten musste, um das Baby rauszuschieben. Gleichzeitig rief Frauke immer wieder ich solle die Augen schließen. Sie erklärte später, dass mir sonst die Adern im Auge platzen könnten. Aber die Augen geschlossen zu lassen unter dieser Anstrengung fiel mir sehr schwer.

Ich hatte kaum Pausen zwischen den einzelnen Presswehen und konnte immer wieder nur kurz Luft holen, bevor Frauke mir wieder „Und jetzt schieb wieder; schieb, schieb, schieb!“ zurief. Und dann war es plötzlich tatsächlich geschafft: das Köpfchen war mitsamt einer Hand draußen und eine Welle später auch der Rest des Babys. Ein Mädchen war es, unser Tüddelbüddel: Alva Elisa – mit rund 3500 Gramm und einem stolzen Kopfumfang von 37 cm erblickte sie das Licht der Welt.

Es war überwältigend, als mir Frauke das niesende, etwas lilafarbene Bündel auf die Brust legte. Ich konnte es kaum fassen, dass es geschafft war. Ich höre mich nur immer wieder „Oh mein Gott!“ sagen und sehe durch meine tränenverschwommenen Augen, Aaron ergriffen und ebenso mit Tränen in den Augen neben mir. Die Nachgeburt kam nur einen kurzen Moment später auch intakt raus und somit war es wirklich geschafft. Durch die lange Geburt hatte mein Gewebe offensichtlich genug Zeit, sich zu dehnen. Bis auf ein paar Abschürfungen durch Alvas Hand bin ich von Geburtsverletzungen glücklicherweise verschont geblieben.

Frauke untersuchte noch die Nachgeburt und ließ uns dann erst einmal für eine gefühlte halbe
Stunde in trauter Dreisamkeit alleine. Hätte sie uns nicht gesagt, dass wir ein Mädchen haben, wir hätten es vermutlich erst bei der U1 mitbekommen. Wir waren nämlich völlig fasziniert von dem kleinen Gesichtchen und den großen kleinen Augen, mit denen Alva uns anschaute. Und die Mini Händchen mit den winzigen Fingernägeln erst.
Als Frauke dann wiederkam, untersuchte sie die kleine Alva unter Aarons Beisein für die U1 und legte sie mir dann an die Brust für die erste Stillmahlzeit. Das klappte auf Anhieb und so begann unserer Leben als kleine Familie in einer kühlen Hamburger Herbstnacht.

Trotz all der Stolpersteine während der Schwangerschaft und unter der Geburt, bin ich glücklich mit dieser Geburtsgeschichte und hadere nicht mit den umgeworfenen Plänen und Wünschen. Ich bin im Gegenteil dankbar für die Erfahrung und die Chance, über mich hinaus gewachsen zu sein. Denn so fühlte es sich an, bei jedem Rückschlag sich wieder aus dem Tal der Tränen zurück-kämpfen zu müssen. Ein weiterer Schlüssel zu meinem guten Gefühl gegenüber der Geburt ist aber auch die Tatsache, dass ich mich zu jeder Zeit gut betreut fühlte. Ich hatte immer das Gefühl, die nächsten Schritte mitentscheiden zu können. Dabei hat natürlich auch die wunderbare Vorbereitung geholfen, dass ich dazu überhaupt in der Lage war. In diesem Sinne – vielen lieben Dank dir, liebe Marlen, für all die wertvollen Tipps, Gedanken und Strategien aus deinen Kursen